Kapitel 17
Die Lark dockte nach einer sechswöchigen Seereise an einem Dienstagabend im März in London an. Der ehrenwerte Patrick Foakes und seine Begleiter mussten eine gute halbe Stunde warten, bis sie von Bord gehen konnten, sehr zur Freude von vier Stauern, die am Dock herumlungerten. Sie bemerkten zwar nicht die Anwesenheit des französischen Burschen, aber dafür sahen sie Sophie umso deutlicher. Ihre zierliche Gestalt und ihre helle Locken machten sie zur Verkörperung einer liebreizenden Engländerin, einer sittsamen, echten englischen Dame.
Was sie ganz bestimmt nicht war.
Die Lark hatte beim Andocken einen Rebellen an Bord. Als Sophie nach Wales gesegelt war, hatte sie nicht im Traum daran gedacht, Braddon zu helfen. Als sich das Schiff jedoch wieder dem Dock näherte, hatte sich in ihr die Erkenntnis gefestigt, dass zukünftig ihre einzige Beschäftigung darin bestehen würde, Einkäufe zu erledigen und Tee zu trinken. Und so war in ihr ganz heimlich ein verwegener, ehrgeiziger Plan herangereift. Eloise brüstete sich mit ihrem gesellschaftlichen Scharfsinn, mit ihrer Fähigkeit, eine nicht ganz perfekte Dame auf zehn Schritte Entfernung ausmachen zu können. Wer eignete sich also besser dazu, die gesamte feine Gesellschaft zu narren und die Tochter eines Pferdezüchters als französische Aristokratin auszugeben?
Wozu sollte sie weiterhin Sprachen studieren, die sie niemals sprechen würde? Sophie wollte eine Künstlerin werden, so wie ihre Freundin Charlotte. Sie wollte das Bild einer französischen Dame erschaffen, einen lebenden Beweis für Eloises strenge Erziehung, von dem diese jedoch niemals etwas erfahren würde. Die moralische Haltung der Marquise verbot es, einen Eindringling in den starren Grenzen der feinen Gesellschaft zu dulden.
Sophie sah sich jedoch einem großen Problem gegenüber. Was würde Patrick von dem ganzen Plan halten? Manchmal glaubte sie, dass er das Versteckspiel und das Risiko genießen würde, und dann fürchtete sie wiederum, dass ihn der Versuch entsetzen könnte.
Als Patrick, Sophie und Henri am gleichen Abend eine späte Mahlzeit zu sich nahmen, fragte Sophie: »Habt ihr beide, du und Braddon, während eurer Schulzeit nicht jede Menge Streiche ausgeheckt?«
Bei der Erwähnung von Braddons Namen blickte Patrick auf. Merkwürdigerweise hatte er sich gerade in diesem Moment gefragt, ob Sophie Braddon bereits vergessen hatte. Offensichtlich nicht.
»Alberne Kinderstreiche«, sagte er schroff und wandte sich wieder seinem Hühnchen zu. »Warum fragst du?«
»Ach, nur so«, erwiderte Sophie leichthin. »Ich habe mir gerade vorgestellt, wie du und Braddon als Kinder wart.«
Das beruhigte Patrick nicht sonderlich. Warum um alles in der Welt sollte seine Frau über Braddon nachdenken, wenn sie nicht hoffte, ihn bald wieder zu sehen?
»Welche Art Streiche?« Henris Augen funkelten vor Neugier.
»Braddon versuchte ständig, einigen Lehrern vorzumachen, er sei jemand anders.«
Henri zuckte die Achseln. Das klang nicht sehr interessant. »Bin ich entschuldigt?«, fragte er. Langsam verwandelte er sich wieder in einen normalen zwölfjährigen Jungen und ließ die brutalen Kriegserlebnisse hinter sich zurück. Er hatte den Nachmittag in Patricks Ställen zugebracht und der Stalljunge wollte ihm später das Bild einer Kuh mit zwei Köpfen zeigen.
»War Braddon mit diesen Streichen erfolgreich?«, fragte Sophie, nachdem Henri den Raum verlassen hatte.
Patrick verdrehte spöttisch die Augen. »Niemals.«
»Oh, der arme Braddon«, sagte Sophie mechanisch, während sich ihre Gedanken überschlugen. Offensichtlich setzte Braddon eine alte Tradition fort, indem er versuchte, seine zukünftige Frau als französische Aristokratin auszugeben. Und ganz offensichtlich wollte Patrick nicht an seinem neusten »Streich« teilhaben. In Anbetracht Braddons fehlgeschlagener Maskeraden in der Vergangenheit kam ihr die Idee nun äußerst idiotisch vor.
Patrick gefiel die Sorgenfalte zwischen Sophies Augenbrauen ganz und gar nicht. Warum hegte seine Frau Sympathie für diesen nichtsnutzigen Burschen? Patrick vergaß völlig, dass Braddon eigentlich ein lieber alter Freund von ihm war.
»Braddon lügt«, sagte Patrick unverblümt. Als Sophie den verächtlichen Unterton in Patricks Stimme hörte, blickte sie ihn erschrocken an. Sie konnte beinah David Marlowes Stimme hören, der ihr erläuterte, dass Patrick Ehrlichkeit sehr, sehr ernst nahm.
»Er lügt. Wie meinst du das?«
»Er ist ein lockerer Vogel. Und er unterscheidet kaum zwischen Wahrheit und Lüge.«
Sophie musterte ihren Mann fragend, aber Patrick weigerte sich, fortzufahren. Nach all dem war er rundheraus gesagt sehr schlechter Laune. Und er war überzeugt, dass dagegen nur Vertraulichkeiten mit seiner Frau helfen konnten. Also umrundete er den Tisch und setzte sich auf die Armlehne von Sophies Stuhl. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren zog er die Nadeln aus ihrem Haar und ließ sie auf den Teppich fallen. Langsam, ganz langsam fielen die honigblonden Locken über Sophies Schultern und Rücken. Und als Patricks lange, geschickte Finger ein letztes Mal durch ihr Haar glitten und zu den Haken ihres Kleides wanderten, hatte es Sophie längst aufgegeben, sich über Braddon und dessen Probleme Gedanken zu machen.
Daher war Patrick äußerst verärgert, als am nächsten Morgen gleich als Erstes ein Brief des Grafen von Slaslow eintraf.
»Was zum Teufel will er?«, knurrte er, ganz wie ein typisch eifersüchtiger Ehemann.
Sophie blickte Patrick überrascht an. »Ich bin sicher, er ist einfach nur höflich. Er lädt mich zu einer Ausfahrt ein.«
Patrick schnaubte. Seit wann war Braddon höflich? Seine Manieren waren alles anderes als geschliffen und korrekt.
»Du hast keine Zeit«, verkündete er anmaßend.
»Habe ich nicht?« Nun war Sophie wirklich überrascht. War Patrick etwa ein besitzergreifender Ehemann? Welch ein aufregender Gedanke. Aufregend aber unpraktisch.
Sie faltete die Hände im Schoß und blickte zu ihrem Ehemann hoch. »Gibt es einen Grund, warum du nicht wünschst, dass ich Braddon treffe?«
»Es würde nicht richtig aussehen!«, erwiderte Patrick.
»Ich bin eine verheiratete Frau«, argumentierte Sophie. »Niemand wird auch nur einen weiteren Gedanken daran verschwenden, wenn ich mit einem Junggesellen durch den Park fahre.«
»Aber du warst mit diesem Junggesellen verlobt!«
»Ich habe dich geheiratet«, gab Sophie zurück. »Du denkst doch sicherlich nicht, dass ich je eine Affäre mit Braddon haben könnte.«
In diesem kalten, vernünftigen Licht betrachtet musste Patrick zugeben, dass Sophie bestimmt nicht das Ehegelöbnis brechen würde - weder mit Braddon noch sonst wem. Seine kleine Sophie war absolut treu und loyal.
»Ach, na gut«, sagte er und wurde das Gefühl nicht los, dass er gerade eine Schlacht verloren hatte. »Sieh ihn so oft du willst! Mach ihn zu deinem >Gesellschafter<!«
»Ich glaube nicht, dass ich das tun werde«, erwiderte Sophie ruhig. »Ein Gesellschafter sollte in der Lage sein, mehr als zwei Sätze aneinander zu fügen, findest du nicht?« In ihren Augen lag ein belustigtes Funkeln, so dass Patrick sich gleich viel besser fühlte.
Sophie ging zur Tür des Morgensalons hinüber. »Ich habe außerdem noch meinen Gatten«, neckte sie ihn, »wenn ich eine konfuse Unterhaltung wünsche!«
Patrick stieß ein gespieltes Knurren aus und streckte den Arm aus, um seine kichernde Frau zu packen, aber sie schlüpfte durch die Tür und war verschwunden. Patrick nahm Braddons Brief, den seine Frau zurückgelassen hatte. Die Nachricht sah wirklich nicht so aus, als stamme sie von einem Liebhaber. »Ich muss Sie sehen. Ich hole Sie morgen um vier in meinem Landolet ab.« »Landaulett« war falsch geschrieben.
Patrick musste zugeben, dass er sich unvernünftig aufführte. Es war nur ... es war nur, dass Sophie noch kein einziges Mal gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Sie schien nicht einmal daran zu denken. Sie hatten zwei Monate auf engstem Raum miteinander verbracht, und doch zeigte seine Frau keinerlei Neigung, sich ihm zu erklären.
Genau in diesem Moment steckte Sophie den Kopf ins Zimmer. »Und außerdem erwarte ich, dass mein Gesellschafter perfekt Französisch spricht!«, sagte sie kess. Als Patrick aufstand begegnete er ihrem Blick, in dem ein vielsagender, verruchter Ausdruck lag. Es war eine äußerst befriedigende Entdeckung gewesen, dass er seine Frau durch ein paar geflüsterte französische Worte in eine hemmungslose, leidenschaftliche Verführerin verwandeln konnte.
Dann verschwand ihr Lächeln. »Liest du meinen Brief, Patrick?« Ihre Stimme klang plötzlich sehr kühl. Patrick blickte nach unten und sah, dass er immer noch Braddons Nachricht in den Händen hielt. Er ließ das Blatt fallen, als hätte es plötzlich Feuer gefangen.
»Warum muss er dich sehen?«
Sophies Rücken versteifte sich. »Wir haben kein Rendezvous und daher geht es dich nichts an.«
Patricks Mund verzog sich zu einem schmalen Strich.
Das Schuldgefühl, weil er Sophies Korrespondenz gelesen hatte, ließ seine Erwiderung viel härter klingen als beabsichtigt. »Verdammt, es geht mich sehr wohl etwas an! Du bist meine Frau und dein guter Ruf ist ebenso meine Sache.«
»Willst du behaupten, dass mein Ruf Schaden nehmen wird, wenn ich mit Braddon ausfahre?«
»Nun, um deine Reputation ist es schon jetzt nicht gut bestellt«, sagte Patrick unbesonnen. »Nun, da wir verheiratet sind, wird jeder damit rechnen, dass du mich an der Nase herumführst!«
»An der Nase herumführen«, sagte Sophie betont langsam. Das Herz pochte ihr ungestüm im Hals. »Du denkst also, dass meine Reputation so ... beschmutzt ist, dass mein Name in London in aller Munde ist?«
»Es geht gar nicht um deine Reputation«, sagte Patrick und versuchte, einen Rückzieher zu machen. »Es geht vor allem um Braddons Absichten. Ich verstehe einfach nicht, was ein berüchtigter Lebemann mit einer jungen verheirateten Frau zu schaffen hat, wenn nicht das Offensichtliche.«
»Ja, mit Lebemännern kennst du dich aus, nicht wahr?«, erwiderte Sophie mit deutlicher Missbilligung in der Stimme. »Braddon hat jedoch vor meiner Hochzeit wenig Interesse bekundet, mich zu verführen und ich bin sicher, dass sein Interesse inzwischen bei Null liegt.«
»Braddon ist verrückt«, sagte Patrick und fuhr sich frustriert mit der Hand durchs Haar. »Es gefällt mir nicht, dass er dich womöglich einwickelt. Weiß der Kuckuck, was er beabsichtigt. Nun, ich weiß, was er vorhat! Er will im Revier seines besten Freundes wildern!«
»Das ist eine unglaublich vulgäre Bemerkung«, erwiderte Sophie eisig. »Aber da wir schon einmal dabei sind, uns auf dieses Niveau hinunter zu begeben, so will ich daran erinnern, dass du es warst, der in Braddons Revier gewildert hat!«
»Warum soll ich mich nicht fragen, was du mit Braddon zu schaffen hast?«, schrie Patrick zurück und sein Temperament ging nun völlig mit ihm durch. »Mag sein, dass er dich nicht küssen wollte, aber das Gleiche kann man von dir nicht gerade behaupten, oder?«
Sophie rang nach Luft. »Was meinst du damit?«
»Ich meine damit«, sagte Patrick außer sich vor Zorn, »dass Braddon mir erzählt hat, du hättest ihn dazu überredet, mit dir durchzubrennen, weil du verrückt nach ihm warst. Du hattest einfach nur Pech, dass ich die Leiter heraufkam, als du auf Braddon wartetest ... in deinem Schlafgemach!«
Unbändiger Zorn erfasste Sophie. »Du! Du wagst es anzudeuten, dass ich dich verführt habe? Du? Ein Mann, der überall als Lothario bekannt ist! Ein Mann, der die Braut seines besten Freundes verführt!«, fügte sie eisig hinzu. »Du hast kein Recht anzudeuten, dass ich Braddon verführen wollte. Ich hatte vor, meine Verlobung zu lösen und das weißt du sehr genau! Du hast lange genug gewartet, bevor du mich wissen ließt, wer du bist.«
»Keine Dame lädt einen Mann in ihr Schlafgemach ein, wenn sie ihm nicht zeigen will, dass sie bereit ist. Du hast mich gewiss nicht abgewiesen, als ich zu deinem Bett kam!«
Sophies Hals war ganz heiß und trocken. »Doch, das habe ich«, widersprach sie, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihn anzuschreien und in Tränen auszubrechen. »Ich habe dich weggestoßen, bis du deine Kapuze abnahmst.«
»Willst du mir weismachen, dass du nur nachgegeben hast, weil ich es war? Das ist ein bisschen viel verlangt!«
»Es ist die Wahrheit.«
»Ich soll dir also glauben, dass du mich aus Liebe geheiratet hast?«, sagte Patrick höhnisch, während er lautlos auf sie zuging. »Na schön, du warst also so schrecklich in mich verliebt, dass du meinen ersten Antrag ablehntest und einen anderen Mann dazu überredetest, mit dir durchzubrennen?«
»Das habe ich nicht gesagt!«
Patrick zog spöttisch eine Augenbraue in die Höhe. »Was hast du nicht gesagt?«
»Ich habe nicht behauptet, dass ich dich aus Liebe geheiratet habe«, stieß Sophie hervor.
Patrick war nur noch wenige Zentimeter von seiner Frau entfernt und er sah Tränen in ihren Augen glitzern. Bei diesem Anblick verrauchte sein Zorn augenblicklich.
»Du hast mich also aus Lust geheiratet?«, fragte er etwas sanfter. »Nun, dann sind wir wohl in die gleiche Falle getappt, nicht wahr?«
Sophie starrte ihn in dumpfer Enttäuschung an. Dann sprach sie mit fester Stimme weiter. Sie hatte schließlich nicht umsonst Hunderte - wenn nicht Tausende -Ehestreitigkeiten miterlebt.
»Ich habe keine Affäre mit dem Grafen von Slaslow - und ich werde auch keine haben«, sagte sie langsam und deutlich.
»Gut«, sagte Patrick. Er fragte sich langsam, worüber sie überhaupt stritten.
»Und ich hatte nicht vor, Braddon zu verführen, wenn er statt deiner in meinem Schlafzimmer erschienen wäre«, sagte Sophie.
»Ich glaube dir.«
»Und noch eins«, fuhr Sophie mit versteinerter Miene fort. »Ich mag dich aus Lust geheiratet haben, aber ich werde niemals fragen, wer das gegenwärtige Objekt deiner Lust ist. Mag sein, dass wir in der Zukunft andere Amüsements finden, aber ich werde nicht deine Korrespondenz lesen und möchte nicht, dass du meine liest.«
»Gut. Du fragst mich nicht und ich frage dich nicht. Da planst du ja eine wunderbare Ehe für uns beide, Liebste.« Patrick betonte das letzte Wort mit bitterem Sarkasmus.
Mit schneeweißem Gesicht drehte sich Sophie um und verließ den Raum. Erneut erfasste Patrick ein unbändiger Zorn, der sich wie ein Schwelbrand in ihm ausbreitete. Schockiert bemerkte er, dass er unbewusst die Zähne gebleckt hatte.
»Verdammt, verdammt, verdammt«, murmelte er mit unterdrückter Aggressivität. Eines war ganz klar: Er konnte die Vorstellung, dass Sophie sich ein anderes »Amüsement« suchte, nicht tolerieren. Weder mit Braddon noch mit einem anderen Mann.
Patrick blieb stehen. Ohne nachzudenken hatte er Anstalten gemacht, Sophie die Treppe hinauf zu folgen. Stattdessen machte er auf dem Absatz kehrt und verließ das Haus. Grimmig marschierte er in Richtung Süden auf den Fluss zu.
Eine halbe Stunde später fühlte er sich bereits viel besser. Er zuckte zwar immer noch jedes Mal zusammen, wenn er daran dachte, wie Sophie ihm gesagt hatte, sie habe ihn aus Lust geheiratet, aber sie würde sich niemals einen Liebhaber nehmen. Ihre Treue und Loyalität mochte er an ihr am liebsten - abgesehen von der Art, wie sie in einem Moment unglaublich verletzlich und im nächsten kultiviert und welterfahren war.
Wenn er nun sofort nach Hause zurückkehrte, wäre er gegen drei Uhr dort und Sophie würde denken, er wolle auf Braddons Ankunft warten. Aber ich gebe ja keinen Pfifferling, mit wem sie ausfährt, rief sich Patrick in Erinnerung. Vielleicht sollte er sein Kontor an den West India Docks aufsuchen. Sein Vermögensverwalter Henry Foster hatte ungefähr fünfzehn Nachrichten für ihn hinterlassen, die an Dringlichkeit zunahmen, während die Lark an der walisischen Küste entlanggesegelt war.
Stattdessen sprang Patrick jedoch in eine Droschke und befahl dem Kutscher, ihn zum Außenministerium zu fahren. Er konnte ebenso gut nachsehen, worüber sich Breksby so aufregte, dass er ihm während seiner Abwesenheit zwei Nachrichten geschickt hatte.
Das Gespräch mit Breksby besserte Patricks Laune nicht gerade. Breksby nahm die Neuigkeiten über die unzureichenden Befestigungsanlagen mit stoischer Gelassenheit auf. Er hatte nichts Gegenteiliges erwartet.
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, Mylord«, sagte der Außenminister höflich. »Es ist mir ein Vergnügen, meine Vermutungen so fachmännisch und noch dazu so pünktlich bestätigt zu sehen.«
Patrick neigte den Kopf. Ast das alles?«, fragte er.
»Nein, nein.« Zum ersten Mal, seit Patrick sich erinnern konnte, wirkte Lord Breksby - der tüchtige, wichtige Breksby - ein wenig unbehaglich, beinah sorgenvoll. »Da wäre noch die andere Angelegenheit ... die Sache mit dem Geschenk.«
Es entstand eine Pause, während Breksby seinen Plan überdachte, Patrick Foakes über Napoleons geplante Sabotage im Dunkeln zu lassen. Der Mann war so - so eindrucksvoll, wenn man ihm persönlich gegenüberstand.
»Ja?«, fragte Patrick ungeduldig. Er wollte nach Hause zurückkehren, bevor Sophie mit Braddon wegfuhr. Dann würde er sich in der Angelegenheit großzügig zeigen und Braddon vielleicht zum Abendessen einladen. Damit konnte er Sophie beweisen, dass er keinen Pfifferling darauf gab, mit wem sie ihre Zeit verbrachte.
»Was das Geschenk angeht, das wir zu Selims Krönung schicken wollen, so hat es einige Schwierigkeiten gegeben«, sagte Breksby und blieb bei seinem Entschluss, nichts von dem befürchteten Austausch des Zepters zu erzählen. »Offensichtlich gibt es einen Plan, das Zepter zu stehlen. Und daher haben wir natürlich vor, das Geschenk sehr sorgfältig zu bewachen. Wir möchten Sie auf gar keinen Fall einer Gefahr aussetzen, vor allem, wenn man bedenkt, welche Verlockung das Zepter für Diebe darstellt. Daher werden wir es auf einem alternativen Weg zu seinem Ziel transportieren. Unser Repräsentant wird das Zepter ein paar Stunden vor der Zeremonie zu Ihrer Unterkunft in Konstantinopel bringen.«
»Sie glauben ernsthaft, dass die Gefahr eines Diebstahls besteht, nicht wahr?«
Breksby nickte. »Ja, das tue ich.«
Sein Ton schien keine Fragen zu dulden, und so stellte Patrick auch keine. »Ich habe vor, Anfang September in die Türkei zu reisen«, sagte Patrick. »Ich nehme an, dass Ihr Repräsentant keine Schwierigkeiten haben wird, in Konstantinopel Kontakt mit mir aufzunehmen.«
»Ich sehe da keinerlei Probleme«, erwiderte Breksby.
Patrick erhob sich.
»Mr Foakes«, sagte Breksby sanft. »Da wäre immer noch die Angelegenheit mit Ihrem Titel.«
Patrick setzte sich wieder und ein Gefühl der Ungeduld machte sich in seiner Magengegend breit. Verdammt, Sophie war inzwischen längst mit Braddon aufgebrochen.
»Ich habe alles Nötige in Gang gesetzt«, sagte Breksby. »Ich möchte hinzufügen, dass mir bis jetzt nur günstige Reaktionen zu Ohren gekommen sind.«
Patrick nickte.
Breksby unterdrückte ein Seufzen. Es ging ihm gegen den Strich, einem Mann die Herzogswürde zu beschaffen, der die Ehre als Nichtigkeit zu betrachten schien. »Es wurde nur die Frage gestellt, ob es sich bei dem Titel des zukünftigen Herzogs von Gisle um einen Erbtitel handeln wird«, sagte er.
Patrick wartete einfach ab, bis sein Gegenüber weitersprach.
Bei Gott, dachte Breksby, der Mann ist nicht normal. jeder andere würde sich darum bemühen, dass sein Sohn den Titel erbt. »Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit es ein Erbtitel wird«, sagte er.
Patrick grinste. Breksby war ein guter Mann, und Patrick wusste genau, das er dem, was der Minister unter Dankbarkeit verstand, nicht gerecht wurde. »Ich stehe wirklich in Ihrer Schuld, Lord Breksby.«
Wie viele vor ihm fiel Breksby auf den betörenden Charme von Patricks Lächeln herein. »Ach, wissen Sie«, sagte er, »ich bin immer bemüht, meine Pflicht zu tun.«
Patricks Lächeln wurde breiter. »Ich bin sicher, dass mein Sohn, sollte ich jemals einen haben, noch dankbarer sein wird als ich.«
Breksby musste sich ein Grinsen verkneifen. »Dessen bin ich mir ganz sicher!«
Lord Breksby trennte sich äußerst zufrieden von dem zukünftigen Herzog von Gisle. Er hatte gut daran getan, Foakes nicht darüber zu informieren, dass sie sich weniger um den Diebstahl des Zepters sorgten als vielmehr um den Austausch. Er persönlich erachtete das Risiko sowieso als minimal. Warum sollte sich Napoleon die Mühe machen, ein Zepter mit Sprengstoff zu füllen? Der Plan klang viel zu weit hergeholt, um Breksbys gesunden Menschenverstand zu überzeugen. Wahrscheinlich würde gar nichts passieren -und wenn er nichts darüber verriet, würde es ihm eine Peinlichkeit ersparen. Was, wenn Foakes überall verbreitete, dass Breksby sich unnötig aufregte?
Am Himmel zog Regen auf, als Patrick das Außenministerium verließ. Er hatte Sophie und Braddon nun ganz sicher verpasst. Er stieg die großen Marmorstufen hinunter, die zur Themse führten, und starrte einen Moment lang in die trübe Tiefe des Flusses. Dann drehte er sich um und rief sich eine Droschke. Was hatte er sich nur dabei gedacht, seine Arbeit zu vernachlässigen? Normalerweise hätte er nach einer Reise sofort sein Kontor ausgesucht. Er war erst sechs Wochen verheiratet und schon vernachlässigte er seine Pflichten.
Als er die West India Docks erreichte, kam sein untersetzter Vermögensverwalter mit sichtbarer Erleichterung zu ihm herüber. »Bei George, ich bin froh, Sie zu sehen, Sir!«
Und so wurde Patrick von der turbulenten Atmosphäre seines Lagerhauses mitgerissen. Eines seiner Schiffe war vor der Küste von Madras auf Grund gelaufen und hatte eine Ladung Baumwolle verloren; sein Mann in Ceylon hatte eine dringende Nachricht hinsichtlich der Lieferbarkeit von Tee geschickt; Foster hegte den Verdacht, dass der Kapitän auf der Rosemary sie um einen Teil der Zuckerladung betrog. Patrick machte sich mit Feuereifer an die Arbeit. Dort, in den staubigen, geschäftigen Büros, in denen die Rufe und das Poltern aus den benachbarten Speichern zu hören waren, gab es keine störenden Ehefrauen, keine vorwurfsvollen Blicke und keine Schuldgefühle, Er nahm ein leichtes Abendessen an seinem Schreibtisch zu sich und arbeitete bis spät in den Abend hinein.
Sophie sah sich misstrauisch auf der Straße um, bevor sie in Braddons Landaulett stieg, aber sie konnte keine Spur ihres Ehemanns entdecken. Sie hatte immer noch einen dicken Kloß im Hals, aber äußerlich wirkte sie völlig gefasst. Ohne zu Zögern stimmte sie zu, am nächsten Tag Madeleines Vater kennen zu lernen.
»Vielleicht könnten wir uns danach ein oder zwei Mal die Woche treffen, wenn es Miss Garnier recht ist«, sagte sie.
Braddon stimmte ihr eifrig zu.
»Ich stelle nur eine Bedingung«, sagte Sophie.
Braddon rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Er hatte diesen Blick schon oft bei anderen Frauen gesehen und er hasste ihn. »Alles, was Sie wollen«, sagte er nach einem stummen Stöhnen.
»Mein Mann darf nichts davon erfahren.«
»Patrick? Meinen Sie Patrick?«
»Natürlich meine ich Patrick«, fuhr sie ihn an. »Habe ich noch einen zweiten Ehemann?«
»Aber, aber -« Braddon war völlig verwirrt. »Warum in alles in der Welt nicht? Patrick hat sich immer an meinen Streichen beteiligt. Ich will nicht behaupten, dass er sie immer gutgeheißen hat, aber ...«
»Sollte er es herausfinden, werde ich zukünftig für Miss Garniers Instruktionen nicht mehr zur Verfügung stehen«, sagte sie in einem Ton, der keine Widerrede duldete.
Braddon konnte jedoch ausgesprochen stur sein. »Aber Sophie, wie wollen Sie denn Ihre Abwesenheit während der Nachmittage erklären? Was wird Patrick denken, wenn Sie so viel Zeit mit Madeleine verbringen?«
Sophie warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Ehemänner überwachen ihre Frauen nicht, als wären es Schoßhunde. Meine Mutter tut genau das, was sie möchte.«
Braddon schwieg einen Moment lang und überlegte, wie er Sophie darauf hinweisen sollte, dass ihre Eltern kein besonders passendes Beispiel abgaben.
»Meine Mutter hätte nicht jede Woche verschwinden können, ohne dass mein Vater misstrauisch geworden wäre«, erwiderte er schließlich.
»Ich bin mir sicher, dass Patrick und ich in dieser Sache keine Differenzen haben werden«, versicherte Sophie ihm. »Ich bezweifle, dass Patrick sich dafür interessieren wird, wo ich meine Nachmittage verbringe, aber wenn doch, dann werde ich ihm mitteilen, dass ich die Kinder in Bridewell besuche.«
»Bridewell! Patrick würde Sie niemals nach Bridewell lassen«, rief Braddon und dachte an das Armenhospital, das in einer wenig respektierlichen Gegend der Stadt lag.
Sophie zog eine Augenbraue in die Höhe. »Haben Sie vor, Madeleine so unter der Knute zu halten?«, fragte sie mit zuckersüßer Stimme. »Denn es dürfte Sie interessieren, dass die Damen der feinen Gesellschaft Bridewell regelmäßig aufsuchen und mit den Waisenkindern spielen. Wir sind bei den Krankenhausangestellten sehr willkommen.«
»Oh je«, sagte Braddon erregt. »Sind Sie sicher, Sophie? Warum sagen wir es Patrick nicht einfach? Dann wären die Dinge viel einfacher.«
»Das werde ich nicht. Und wenn Sie es ihm sagen, werde ich keinen Finger rühren, um Madeleine zu helfen.«
»So ein Unfug!«
Sophie hatte sich bis dahin zusammen genommen, aber nun verlor sie die Beherrschung. »Wenn es Unfug ist, dann können Sie sich ja auch jemand anders suchen, der Ihnen dabei hilft!«
Braddon warf ihr einen entsetzten Blick zu. Ein Mann konnte sich darauf verlassen, dass eine Frau immer just dann zu schreien anfing, wenn man gerade die Zügel in die andere Hand wechselte.
»Machen Sie sich keine weiteren Gedanken darüber«, sagte Braddon, nachdem er das schwierige Manöver durchgeführt hatte und seine Pferde sanft durch den Torbogen in den St. James's Park trabten. »Sie haben sicherlich Recht. Wenn ich es mir recht überlege, war Patrick nicht sehr begeistert von meinem letzten Streich.«
je länger Braddon über Patricks Reaktion auf sein »gebrochenes Bein« nachdachte, desto erleichterter war er, dass Patrick niemals von seinem neusten Plan erfahren würde. Der Ausdruck auf Patricks Gesicht, als Braddon angefangen hatte, den Gips zu zertrümmern, würde er nie vergessen. Das Gleiche galt für die Predigt, die er im Anschluss erhalten hatte. Ihm hatten regelrecht die Ohren geklungen.
»Ja, Sie haben Recht«, sagte Braddon mit überraschendem Nachdruck. »Je weniger Leute die Wahrheit kennen, desto besser. Sie, Madeleine, ihr Vater und ich reichen völlig.«
Genau in diesem Moment beugte sich Sophie vor und winkte mit ihrer behandschuhten Hand jemandem zu. »Oh, bleiben Sie stehen, Braddon. Schauen Sie, da sind Charlotte und Alex!«
Braddon hielt an und Sophie sah erwartungsvoll zu, wie Alex seine zweirädrige Kutsche parallel neben Braddons Landaulett steuerte und ebenfalls anhielt.
»Nettes Gespann hast du da«, sagte Braddon zu Alex. Er war eher ein Freund Patricks als von Alex und er verspürte immer noch ein wenig Ehrfurcht vor Patricks Zwillingsbruder. Patrick besaß zwar auch ein hitziges Temperament, aber in Alex' Augen lag oft ein hartes, unnachgiebiges Funkeln, bei dem Braddon stets ein unangenehmes Gefühl beschlich.
»Wo ist Patrick?«, fragte Charlotte auf der anderen Seite des Zweiräders fröhlich.
Sophie rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her. Wäre es für eine Frau doch nur kein unerhörter Verstoß gegen die Anstandsregeln, aus einer Kutsche zu steigen und zu einem anderen Gefährt hinüberzulaufen. Sie schüttelte einfach nur den Kopf und hoffte, dass ihr Schweigen Charlotte zu verstehen geben würde, das etwas nicht stimmte.
Ihre Freundin reagierte sofort. »Willst du heute Abend nicht zu einem leichten Essen zu uns kommen, Sophie.«
Sophie beugte sich vor und versuchte, an Braddons massigem Körper vorbeizusehen. »Sehr gerne, Charlotte. Ich weiß jedoch nicht, wie Patricks Pläne lauten. Wir sind gestern erst in London angekommen.«
»Sie sind noch nicht lange verheiratet«, sagte Alex. »Ich bin sicher, Patrick wird Ihnen schon folgen. Wir müssen nun jedoch nach Hause zurückkehren, Charlotte.« Er zwinkerte Sophie zu. »Manche Männer stehen unter dem Pantoffel ihrer Frauen, aber wir stehen unter dem unseres Kindermädchens. Es ist bald Zeit für Pippa und Sarah, in den Salon zu kommen.«
Charlotte zog die Nase kraus. »Die armen Kleinen. Pippa wird ganz förmlich und unglücklich im Salon erscheinen und eine ganze halbe Stunde lang versuchen, sich wie eine echte Dame zu benehmen. Sehen wir dich dann um acht Uhr?«
Sophie nickte.
Als Patrick um acht Uhr immer noch nicht zurückgekehrt war, hinterließ Sophie eine neutrale Nachricht bei ihrem Buder Clemens, wünschte Henri eine gute Nacht und gab dem Kutscher Anweisungen, sie zum Haus ihres Schwagers zu fahren.
Als sie dort ankam, war Sophie selber überrascht, dass sie nicht sofort mit den Einzelheiten ihres Streits herausplatzte. Sie hatte sich so danach gesehnt, es Charlotte zu erzählen ... aber wollte sie ihrer Freundin tatsächlich verraten, dass ihr Mann ganz offen zugegeben hatte, sie nur aus Lust geheiratet zu haben? Man musste sich doch einen letzten Rest Würde bewahren.
Während des Essens plauderten sie über die neuen Zähne von Baby Sarah und die französischen Soldaten, die in Wales gesund gepflegt wurden. Erst, als Alex sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, stellte Charlotte Sophie zur Rede.
Ihre Freundin hielt sich nicht mit Nettigkeiten auf »Wo zum Teufel ist er, Sophie? Habt ihr gestritten?«
Sophie setzte sich auf ein niedriges Sofa, und eine Klammer schien ihr die Brust zuzuschnüren. »Oh, Charlotte«, sagte sie und bemühte sich, nicht jämmerlich zu klingen. »Du weißt, dass ich ein höllisches Temperament habe.«
Charlotte ließ sich von dieser leicht dahingesagten Bemerkung nicht täuschen und ihre Augen bohrten sich ernst in Sophies. »Sophie«, sagte sie unheilschwanger und in diesem Wort lag ein unmissverständlicher Befehl.
»Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte Sophie. Dann straffte sie die Schultern. »Er verbringt wahrscheinlich den Abend mit seiner Geliebten.«
»Pah!«, erwiderte Charlotte. »Er hat keine Geliebte und du bist eine Närrin, wenn du glaubst, dass Patrick Augen für eine andere hat als dich.«
»Wir haben wegen Braddon gestritten«, sagte Sophie.
»Braddon!« Was immer Charlotte auch erwartete hatte, so war es ganz bestimmt nicht das. »Was zum Teufel gibt es da zu streiten?«
»Braddon hat mich eingeladen, mit ihm auszufahren, und Patrick wollte mir nicht erlauben, die Einladung anzunehmen.«
»Ach du meine Güte«, sagte Charlotte schwach. »Er muss eifersüchtig sein. Wie seltsam.« Sie begegnete Sophies Blick und beide mussten unweigerlich grinsen. »Eifersüchtig auf Braddon! Mein Gott, Männer sind doch wirklich absurd! Nun, du hast zum Glück nicht vor, viel Zeit mit Braddon zu verbringen.« Sie kicherte. »Aber ja, Braddon der fröhliche Herzensbrecher, der Patrick die schöne Gattin stiehlt! Wenn die Eifersucht der Grund für euren Streit ist«, fügte Charlotte hinzu, »dann dürfte es reichen, Braddon zu meiden.«
Da Sophie Braddon versprochen hatte, niemandem von ihrem Plan zu erzählen, Madeleine die strengen Regeln der feinen Gesellschaft beizubringen, konnte sie angesichts Charlottes weisem Rat nur zustimmend nicken.
Wieder zu Hause nahm Clemens Sophies Mantel entgegen und fragte, ob sie eine Erfrischung wünsche. Als sie verneinte, gab er ihr die Nachricht zurück, die sie für Patrick hinterlassen hatte. »Seine Lordschaft ist noch nicht zurückgekehrt«, sagte Clemens und verbeugte sich, als seine Herrin die Treppe hinaufstieg.
Sophie blickte auf die zierliche Uhr in ihrem Schlafzimmer. Es war halb zwölf. Sie war so lange wie möglich bei Charlotte geblieben, in der Hoffnung, dass Patrick vor ihr nach Hause zurückkehren würde.
Nun, dachte Sophie, zog die Hutnadel aus ihrer Haube und warf diese auf einen Sessel, das Eheglück von Mama und Papa hat genau zwei Monate gehalten, aber wir waren nicht ganz so erfolgreich. Sie zählte nach. Ihr Mann hatte sie bereits nach nur sieben Wochen verlassen ... offensichtlich war der Charme ihrer Mutter dem ihren überlegen. All die Verse auf die »himmlisch reine« Eloise mussten der Wahrheit entsprochen haben.
Oder vielleicht hatte ihr Vater geglaubt, er habe aus Liebe geheiratet, und erst später herausgefunden, dass er nur Lust für seine Frau empfand. Wohingegen ihr klarsichtiger Mann die Liebe erst gar nicht als Heiratsgrund in Betracht gezogen hatte.
Sophie ging schließlich um ein Uhr zu Bett. Sie konnte jedoch weder schlafen, noch auch nur eine Träne vergießen. Sie lag einfach nur da, starrte zur Decke hinauf und lauschte angestrengt auf etwaige Geräusche aus dem angrenzenden Schlafzimmer. Aber es war nichts zu hören. Gegen sechs Uhr morgens betrat schließlich Patricks Kammerdiener Keating das Zimmer und öffnete die Gardinen. Vielleicht glaubt Keating, dass er in meinem Zimmer geschlafen hat, dachte Sophie trübsinnig. Aber das spielt auch keine Rolle.
Um acht Uhr morgens hörte Sophie schließlich forsche Schritte, die das Zimmer nebenan betraten. Dann sagte eine joviale Stimme: »Oh, ja, Mann. Sieh dir mein Gesicht an. Ich brauche eine Rasur und ein Bad.« Sie hörte ein Rascheln und ein Poltern, als Patrick seine Sachen ablegte.
Sophie hatte das Gefühl, als läge ein großer Felsbrocken auf ihrer Brust. Dennoch wollten immer noch keine Tränen fließen. Endlich verstummten die Geräusche im Nebenzimmer. Als sich ihre eigene Tür öffnete, winkte sie ihre Zofe fort und schlief endlich ein.
Patrick wanderte den ganzen Tag im Haus herum und wartete darauf, dass Sophie sich erhob, bis ihm klar wurde, dass sie in ihrem Zimmer blieb, um ihm aus dem Weg zu gehen. Er rief Simone zu sich und durchbohrte sie mit Blicken, als sie darauf beharrte, dass die Herrin tatsächlich noch schlief. Um drei Uhr nachmittags, als Braddon bei ihnen erschien war er schließlich mit seiner Geduld am Ende.
»Hallo, Patrick«, sagte Braddon fröhlich. »Wo ist deine Frau? Ich wollte mit ihr ausfahren.«
»Sie ist noch nicht aufgestanden«, sagte Patrick.
Sophie trat gerade in diesem Moment aus ihrem Zimmer, blieb jedoch auf dem oberen Treppenabsatz stehen, als sie Patricks Stimme vernahm.
»Bist du nicht gestern schon mit Sophie ausgefahren?«
»Ja, das stimmt«, sagte Braddon. »Und heute nehme ich sie wieder mit. Na, wie gefällt dir das Eheleben?« Braddon war wirklich ausgezeichneter Laune. Madeleine würde seine Frau werden, und so war in seinem Leben alles in bester Ordnung.
»Dafür, dass ich mir habe Fesseln anlegen lassen, ist es gar nicht so schlimm«, sagte Patrick mit beißendem Sarkasmus.
»Fesseln?«
Für einen Mann, der mir die Frau unter der Nase wegstehlen will, sieht Braddon ziemlich schockiert aus, dachte Patrick.
»Du bist mit einer der schönsten Frauen der feinen Gesellschaft verheiratet, wahrscheinlich sogar mit der schönsten, und das nennst du >sich Fesseln anlegen lassen<?«
»Ja, es könnte schlimmer sein«, sagte Patrick lakonisch. »Wenn man bedenkt, wie wenig Geschwister sie hat, dann ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass mir viele Bälger zwischen den Füßen herumlaufen werden.«
Sophie empfand seine Worte wie Pfeile, die sich ihr in die Brust bohrten.
»Ist das nicht ein bisschen grob, alter Freund?« Braddon klopfte seine Taschen ab, um nach seiner Tabakdose zu suchen. »Patrick, hast du schon meine neue Mischung probiert? Sie enthält Hagebutten ... wo hab ich sie nur?«
»Ich mag keine Hagebutten in meinem Schnupftabak«, stieß Patrick mühsam hervor.
Braddon bediente sich ungerührt. »Glaubst du, Sophie wird noch lange brauchen? Meine Pferde stehen auf der Straße.«
»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Patrick.
Braddon zog eine Augenbraue in die Höhe. »Also, wirklich Patrick, du klingst nicht gerade wie ein glücklicher Ehemann.«
»Oh, ich bin glücklich, nahezu wahnsinnig glücklich.« Patrick fühlte sich wie ausgewrungen. Er hatte die halbe Nacht im Kontor gearbeitet und war dann zu Hause in seiner Bibliothek mit einem Brandy in der Hand eingeschlafen.
»Hast du immer noch vor, deiner Geliebten in Mayfair ein Haus einzurichten?«, fragte Patrick unauffällig.
»Nein«, antwortete Braddon. »Außerdem gehen wir inzwischen getrennte Wege.« Er mied Patricks Blick, der leider die unangenehme Fähigkeit besaß, Braddon genau anzumerken, wann er log.
Als Patrick Braddons gesenkten Kopf sah, zog er sardonisch die Augenbraue in die Höhe. Schämte er sich etwa? Nun, das sollte er verdammt noch mal auch, denn er hatte offensichtlich seiner Geliebten den Laufpass gegeben, um sie durch Sophie zu ersetzen.
Beide Männer drehten sich um, als Sophie in einem eleganten, schimmernden, blassrosafarbenen Kleid die Treppe herunterkam. Ihre Augen begegneten dem Blick ihres Mannes mit ungetrübter Freundlichkeit.
»Ich hoffe, du hattest einen schönen Tag.«
So sehr er sich auch bemühte, so konnte er doch keine Spur von Bissigkeit in ihren Worten entdecken.
Sie nahm Braddons ausgestreckten Arm und schenkte ihrem Gatten ein charmantes Lächeln. »Sehe ich dich später?«
Patrick schüttelte den Kopf; nicht weil er Pläne hatte, woanders zu essen, sondern weil er wissen wollte, ob er sie aus der Ruhe bringen konnte. Offensichtlich nicht.
»Nun, in diesem Fall wünsche ich dir eine gute Nacht«, sagte Sophie freundlich. Sie und Braddon verließen das Haus.
»Verdammt«, sagte Patrick. Er drehte sich um und kehrte in die Bibliothek zurück, in der er die vergangene Nacht verbracht hatte.
Sophie schluckte schwer, als sie in Braddons Kutsche kletterte, und verdrängte den Wunsch, sich wieder in ihr Schlafzimmer zurückzuziehen. Der Nachmittag gestaltete sich jedoch sehr vergnüglich. Als Sophie Braddons Bitte in Erwägung zog, hatte sie noch keinen weiteren Gedanken an die Frau verschwendet, in die er sich verliebt hatte. Die Tochter eines Pferdezüchters? Unmöglich. Aber Madeleine war wunderbar; durch und durch französisch, pragmatisch und sehr witzig.
Sie und Sophie brachen immer wieder in schallendes Gelächter aus, während sie die komplizierten Einzelheiten des feinen Benehmens besprachen. Madeleine fand einige Regeln, die Sophie einfach als gegeben hingenommen hatte, lächerlich.
»Aber warum muss ich lügen, wenn mich jemand mit Suppe bekleckert?«
»Weil das so ist«, argumentierte Sophie nicht sehr schlagkräftig. »Vielleicht wird eines Tages eine betrunkene Herzogin Bratensaft über Ihr ganzes Gesicht spritzen. Das kommt vor; ich habe es schon gesehen. Und noch während Sie sich das Gesicht abwischen, müssen Sie bestreiten, dass das Malheur je geschehen ist.«
»So ein Unsinn!« Und dann lachte sie wieder ihr temperamentvolles, ansteckendes Lachen, das stets wie eine kleine Feuerwerksrakete aus ihr herausbrach.
Ihr beizubringen, sich wie eine Dame zu benehmen, war gar nicht so schwer, wie Sophie geglaubt hatte. Madeleine besaß eine angeborenen, natürliche Grazie, die ihre Lektionen vereinfachte. Sophie lehrte sie den Hofknicks, la révérence en arrière. Am Ende des Nachmittags beherrschte Madeleine ihn perfekt. Sie sank mit anmutiger Eleganz nach hinten, wobei sie den hinteren Fuß über die Zehenspitzen nach hinten führte, so dass sich nur ihre Absätze berührten.
Sophie blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Ach habe wochenlang üben müssen, um das zu erlernen, Madeleine!«
Madeleine grinste. »Ich werde morgens vor jedem Pferd einen Knicks machen.« Und damit wandten sie sich der Kunst der förmlichen Begrüßung zu.